… und wie aus der Dorfkneipe ein Striplokal wurde
Ein altes Postkartenmotiv zeigt den ehemaligen Gasthof Busse (später bekannt als „Gasthof Spilker“). Der Gasthof wechselte den Namen, als die zweimal verwitwete Anna Busse, die in zweiter Ehe Tiemann hieß, in dritter Ehe mit Gustav Spilker aus Herford verheiratet war. Vorm Gaststätteneingang standen gewaltige Kastanien. Im Gastzimmer bullerte ein alter Kanonenofen. Und wenn einer der Gäste zu Anna Spilker sagte: „Anna, est dat käolt bui dui!“, antwortete sie darauf: „Drink man, drink man, dann wird dir warm!“
Der Spilkersche Saal war geselliges und kulturelles Zentrum zugleich. Beim Tanz lernten junge Leute aus Südlengern und Umgebung ihre Partner kennen, im Saal fanden aber auch Vereinsfeiern, Bürgerversammlungen, Theater- und Konzertveranstaltungen statt. Die „große Zeit“ kam nach dem Kriege, als eine weithin bekannte Spitzenkapelle bei Spilker zum Tanz aufspielte. Auch die Saalveranstaltungen zur 800-Jahrfeier Südlengerns im Jahre 1951 fanden bei Spilker statt, und das Interesse war so groß, dass der gewiss nicht kleine Saal jedesmal hoffnungslos überfüllt war.
August Tiemann, Anna Spilkers Sohn aus zweiter Ehe, war letzter Betreiber in der Tradition des Familienunternehmens. Gaststätte und Saal wurden zunächst an andere Gastronomen verpachtet. Dann wurde aus dem Saal vorübergehend ein berühmtes „Etablissement“, das „Cabaret Royal“.
Im Oktober 1970 begann Südlengerns „Rotlicht-Phase“ mit Auftritten der „schwarzen Barbarella“, von „Annette Cherie“, „Cora Coraleva“, „Christine“, „Milli“ und anderen, die in mehr oder weniger naiv-verruchter Form ihre Haut „zum Markte“ trugen. Nicht nur blanke Mädchenkörper dienten diesem Zweck, wie die Presse nach der Eröffnung berichtete, sondern auch Peitschen, Hot Dogs oder Teddybären – was immer man auch mit derlei Dingen anstellen mochte.
„Wer – und das sollte man nicht verschweigen – ein solches Striplokal besucht“, mahnte der Pressebericht zur Vorsicht, „muss sich darüber im Klaren sein, dass er in keinen ‚Kindergarten‘ kommt, sondern sich schon auf einige ‚harte Nüsse‘ gefasst machen muss. Er muss sie ja auch mit barer Münze hart bezahlen. Aber, wer mitreden will, muss es ja einmal gesehen haben. Im ‚Cabaret Royal‘ in Südlengern wird ihm wahrscheinlich mehr gezeigt, als manche Großstadt im Ruhrgebiet zu bieten vermag.“
Einmal sollen einige aus Bünde nach Hannover gefahren sein, um dort etwas „zu erleben“. Sie fragten dort Passanten, wo man denn in Hannover so richtig „einen drauf machen“ könne. Nee, sagten die. In Hannover sei eigentlich nix los. Doch einen heißen Tip hätten sie schon. In Südlengern bei Bünde, da gäbe es so einen tollen Laden …
Es kam auch vor, dass neugierige – und mutige – Konfirmanden statt zum Unterricht in Spilkers Bar auftauchten. Ihr Papi sei gestern nicht nach Hause gekommen, und sie wollten mal nachsehen, ob er hier abgeblieben sei. Oder sie baten darum, zwei Mark zu wechseln. Doch zumindest der „Rausschmeißer“ hatte keinen Humor. Er setzte die forschen Knaben einfach vor die Tür.