Von „Babutz“ und „Tiahnebriaker“

„Papa Müller“, ein alteingesessener Friseur in Kirchlengern, hat in seinem Leben viele Zähne gezogen (als „Tiahnebriaker“ praktiziert) und manchen damit vom Zahnschmerz befreit. Darüber, und wie man jemanden „über den Löffel“ barbiert, berichtet Bernd Schürmeier:


Jemanden „über den Löffel barbieren“ …

Wenn man davon spricht, jemand „über den Löffel zu barbieren“, hängt das ganz sicher mit dem Wort Barbier zusammen. Den genauen Zusammenhang kann ich mir nicht erklären, denn mit „über den Löffel barbieren“ verbindet man eher die Vorstellung, dass jemand „aufs Kreuz gelegt“ werden soll. Dabei war die Rasur mit Hilfe eines Löffel früher absolut praktisch zu sehen. Dann nämlich, wenn ein älterer Mann keine Zähne mehr hatte und seine Wangen eingefallen waren. Kaum möglich, so einen gründlich zu rasieren! Doch mit einem Löffel ließen sich die Wangen prima ausfüllen und „stabilisieren“. Dann bedeutete auch die Bartbehandlung kein Problem mehr. Von meinem Großvater ist überliefert, dass er im Herbst statt eines Löffels einen halben Apfel verwandte. Gute Kunden bekamen einen neuen Apfel …

Wenn etwas gegen den Strich geht …

Was es bedeutet, wenn einem Friseurgesellen das Gerede seines Kunden buchstäblich „gegen den Strich“ geht, sollte einst einer erfahren, der im Stuhl saß und tönte, was denn der „Bubi“ da – gemeint war ein junger Mann mit noch recht zartem Flaum auf den Wangen – hier im Salon zu suchen hätte. Den „Bubi“ müsse man noch nicht rasieren, der könne sich einfach an die Bahnschranken stellen, auf den nächsten D-Zug warten – und, Schwupps, würde sein Bart wohl wegfliegen! Er selbst dagegen, klang es prahlerisch, habe einen „richtigen, deutschen Bart“, das erst sei eine Aufgabe für den Friseur. Der Geselle meines Vaters zwinkerte dem jungen Mann vielsagend zu und ignorierte einfach das Gerede. Zumindest schien es so.

Denn als der Geselle nun den mit dem „deutschen Bart“ gründlich rasierte, führte er die Klinge unauffällig „gegen den Strich“, das heißt, gegen die Wuchsrichtung der Barthaare. Das blieb zunächst ohne Folgen. Als er dem Kunden aber die übliche Erfrischung mit „Pitralon“ verpasste, sprang der wie von einer Tarantel gestochen aus dem Stuhl. Tränen schossen ihm in die Augen. Pitralon, ein damals gebräuchliches Rasierwasser galt als Gift schlechthin. Und die gereizte Haut reagierte sofort. Der Kunde blieb ein guter Kunde. Doch schien er künftig weniger geneigt zu flotten Sprüchen.

Nach der Brennschere kam die „nasse“ Dauerwelle

1950 erweiterte mein Vater den Betrieb um einen Damensalon. Damit schnitt er „alte Zöpfe“ ab, weil bis dahin die Haarkunst zumindest bei den Frauen in ländlichen Gegenden eine eher untergeordnete Rolle spielte. Man trug die Haare glatt gekämmt, oft auch im Nacken zu einem Knoten gebunden. Die durchaus mögliche Formung der Haare mit einer Brennschere, wie sie in vielen Haushalten zu finden war, bedeutete eine umständliche Prozedur. Die Brennschere wurde auf dem Herd erhitzt, sofern man nicht einen speziellen Spiritusbrenner besaß. Doch als Karl Nessler die chemische Dauerwelle entwickelt hatte, war alles sehr viel unkomplizierter geworden. Die Haarmode bekam einen entsprechenden Stellenwert. Die Frau, die auf sich hielt, bevorzugte die nasse Dauerwelle.

„… wat häff sik dat huier verännert!“

Sicher muss man mit der Zeit gehen. So habe ich von Zeit zu Zeit immer etwas verändert. Renoviert, modernisiert. Doch als vor etlichen Jahren einmal Opa Lohmann bei mir hereinschneite, war nichts dergleichen geschehen. Er stand wie vom Donner gerührt. „Nei, wat häff sik dat huier verännert!“ brachte er heraus. Natürlich widersprach ich ihm. Nein, hier hatte sich in letzter Zeit beim besten Willen nichts verändert! Er kniff die Augenbrauen zusammen und sah sich prüfend um. „Nei, wat häff sik dat huier verännert!“ wiederholte er. Schön, Opa Lohmann war nicht mehr der Jüngste und vielleicht ein bisschen tüddelig. Doch so konnte er sich doch nicht vertan haben! „Ach was, Opa Lohmann“, sagte ich, „hier hat sich ganz bestimmt nichts verändert, alles ist so geblieben, wie es war!“ Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Leiwe Tuid“, stellte er fest, „wenn sik huier nix verännert häff, dänn schüdde mui man erst einen Lüttken in, oawer ik briuke woll nen Dubbelten!“ Des Rätsels Lösung war einfach. Opa Lohmann hatte vor, bei Oma Buddenberg einen „Lüttken“ zu nehmen und war aus bloßer Tüddelei im Nachbarhaus gelandet. Klar, dass es fieberhaft in ihm arbeiten musste, was es mit den gepolsterten Frisierstühlen vor der Theke auf hatte.

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